„Das ziehe ich mir in mein Leben“

Audio-Version des Artikels, gelesen vom Autor

Es gibt in der heutigen Selbsterfahrungs- und Selbsthilfe-Szene in vielen verschiedenen Vertretungen die Position, dass wir kraft unseres Bewusstseins unser eigenes Leben gestalten, erschaffen oder kreieren können. Dem wird in der Regel das Gesetz der Anziehung oder auch Resonanzgesetz (engl. Law of Attraction) zu Grunde gelegt, welches besagt, dass Gleiches Gleiches anzieht. Demnach erzeugen Gedanken Schwingungsmuster, die mit Schwingungsmustern von anderen Menschen, Ereignissen und Situationen wie Magneten in Resonanz gehen. Beeinflussen wir also unsere eigenen Gedanken, können wir demnach auch unser Leben beeinflussen. Dies geschehe unbewusst sowieso die ganze Zeit, aber wenn wir uns unsere Gedanken bewusst machten, könnten wir es in die Richtung steuern, in die wir wollten. Beliebt ist auch, diesen Ansatz mit Erkenntnissen aus anderen Wissensgebieten zu verknüpfen, wie beispielsweise der Quantenmechanik, die suggerieren kann, dass das Bewusstsein eines Beobachters über das Verhalten des Beobachteten entscheidet. Demnach wären wir von einem Quantenfeld von Möglichkeiten umgeben, welches wir mit der richtigen gedanklichen Einstellung dazu bewegen können, unsere Wünsche zu manifestieren.

Aus dieser Sichtweise ergeben sich Sätze wie die Folgenden:

„Wenn du deine alten Glaubenssätze erkennst und auflöst, kannst du dir genau das Leben erschaffen, was du dir aus tiefstem Herzen wünschst!“

„Wenn du selbst glaubst, dass du nicht liebenswert bist, wie soll dich dann sonst jemand lieben?“

„Dein Erfolg hängt davon ab, was du zu dir selbst sagst. Wenn du erspüren kannst, wie er sich anfühlen würde, Erfolg zu haben, sendest du eine Schwingung aus, die ihn automatisch in dein Leben zieht.“

„Wenn dir jemand begegnet, der dich aufregt, stört, auf die Palme bringt, sind deine alten Muster dafür verantwortlich. Was in dir glaubst du noch, was dazu passt? Wie hast du ihn in dein Leben gezogen? Welche Lektion will dir das Leben hier geben?“


Oder hier noch einige Zitate, die gerne berühmten oder erfundenen Leuten zugeschrieben werden (ohne Belege und oft verfälscht), die entweder direkt auf das Gesetzt der Anziehung verweisen, oder auf das darunterliegende Prinzip:

Das, was jemand von sich selbst denkt, bestimmt sein Schicksal.
Mark Twain

Wenn Du es willst und erwartest, wird es bald Dir gehören.
Abraham Hicks

Egal ob du denkst, du kannst es, oder du kannst es nicht, du wirst recht behalten.
Henry Ford

Das Gesetz der Anziehung zieht dir alles an, was du brauchst, je nach der Art deines Gedankenlebens. Deine Umwelt und finanzielle Situation sind die perfekte Reflexion deines gewohnten Denkens. Der Gedanke regiert die Welt.
Joseph Murphy

Du ziehst nicht das an, was du willst. Du ziehst das an, wovon du glaubst, dass es wahr ist.
Neville Goddard

Dein Wort ist dein Zauberstab. Die Worte die Du sprichst, erschaffen dein eigenes Schicksal.
Florence Scovel Shinn

Du wirst das, woran du am meisten denkst.
John Assaraf

Wir sind, was wir denken. Alles, was wir sind, entsteht aus unseren Gedanken. Mit unseren Gedanken formen wir die Welt.
Buddha

Der dominierende Gedanke oder die mentale Einstellung ist der Magnet, und das Gesetz lautet: Gleiches zieht Gleiches an. Deshalb wird die Denkweise unweigerlich solche Umstände anziehen, die ihrem Wesen entsprechen.
Charles Haanel

Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab.
Marcus Aurelius


Wenn ich diese Sätze an mich heranlasse, fühle ich immer eine Mischung aus Euphorie und Anspannung. Ich finde sie verführerisch und verstörend zugleich. Denn sie versprechen Macht durch Willensstärke bei gleichzeitiger Verantwortung für alles, was passiert. Auch für das, was mir nicht gefällt und worunter ich leide. Aber kann das wirklich stimmen? Gibt es nicht so etwas wie Schicksal? Wo hört diese Verantwortung dann auf? Und welche Macht habe ich wirklich? Was bedeutet es, wenn ich mich ohnmächtig fühle? Habe ich dann einfach noch nicht genug an mir gearbeitet?

Ich glaube, dass dem Gesetz der Anziehung reale innerpsychische Phänomene unterliegen, die allerdings noch um einiges differenzierter sind, als auf der Oberfläche deutlich wird. Gerade weil das so ist, ist es gar nicht so einfach, es von der Hand zu weisen oder sinnvolle Unterscheidungen zu treffen. Ich glaube durchaus, dass schon viele Menschen von Ansätzen profitiert haben, die in der ein oder anderen Form auf dem Gesetz der Anziehung basieren. Und ich glaube auch, dass Vertreter dieses Ansatzes zuweilen ein tieferes Verständnis haben, als in der Vermarktung vermittelt wird. Gleichzeitig nehme ich auch den Stress und die Verstörung ernst, die mit der Überhöhung der Rolle der Willensstärke und der Überfrachtung der persönlichen Verantwortung einhergehen können. In diesem Artikel will ich beleuchten, wie wir Spreu von Weizen trennen können.

Ohnmacht

Die Ausgangssituation, in der Menschen sich mit Ansätzen des Gesetzes der Anziehung beschäftigen wollen, hat in der Regel etwas mit Ohnmacht zu tun. Vielleicht habe ich mich zum 5. Mal in eine emotional unerreichbare Frau verliebt. Oder ich habe seit Jahren finanziell zu kämpfen und will endlich aufatmen können, wenn ich meinen Kontostand prüfe. Unter Umständen gehe ich einer Arbeit nach, die zwar das Konto belädt, aber das Herz aussaugt. Vielleicht habe ich auch einen Traum, der meiner Realität so fern ist, dass ich nur noch taub bin, wenn ich daran denke. Es könnte auch eine tödliche Krankheit sein, die mich bedroht. Die Erfahrung von Ohnmacht ist der gemeinsame Nenner.

Ohnmacht ist eine existentielle Erfahrung. Sie bedeutet, dass etwas essentiell wichtiges für unser Wohlbefinden außerhalb unseres Einflusses liegt oder zu liegen scheint. Manchmal ist gar nicht klar, was die realen Möglichkeiten wären, die ein allwissender Beobachter wahrnehmen könnte, denn innere und äußere Lebens-Situationen sind oft komplex und können schnell unübersichtlich werden. Vielleicht denke ich ja nur, dass ich nichts tun kann? Was, wenn ich nur noch nicht die richtigen Knöpfe gefunden habe? Schließlich gibt es doch genug Leute, die es auch geschafft haben… warum sollte ausgerechnet ich es nicht auch schaffen? Und prinzipiell lässt sich ja mit Viktor Frankl sagen: bis wir sterben, werden wir. Bis dahin wissen wir nicht, was alles noch möglich ist.

Magie, Mythos und Verstand

Um das Gesetz der Anziehung in Bezug auf die Erfahrung der Ohnmacht einzuordnen, möchte ich weiter ausholen. So lässt sich die Geschichte des menschlichen Fortschritts auch als Geschichte eines Kampfes des menschlichen Willens gegen die Ohnmacht verstehen, die sowohl das Überleben als auch ein erfülltes Leben bedrohen kann. Phänomene, die uns noch vor einem Jahrhundert wie eine unüberwindbare Herausforderung vorkamen, sind heute kein Problem mehr. Allein in den Bereichen Medizin, Mobilität und Kommunikation sieht die Welt radikal anders aus, wie man am Beispiel des Internets, des Flugverkehrs und drastisch gesunkener Kindersterblichkeit leicht erkennen kann. Ohne den Verstand wäre das nicht möglich. Dieses Werkzeug hat uns in vielerlei Hinsicht erlaubt, unsere existentielle Situation zu verbessern und essentielles möglich zu machen. Es gibt dafür auch noch viele andere Beispiele, aber ich möchte den Bereich der Psychotherapie nutzen, um näher zu erläutern, was der Verstand an Fortschritt erlaubt hat. Und wo seine Grenzen sind.

Bevor wir so etwas wie eine Neurosenlehre hatten, waren die besten Theorien zu dem, was wir heute psychische Erkrankungen nennen, magische und mythische Erklärungsmodelle. Menschen wurde zugeschrieben, dass sie Magie und Flüche einsetzen konnten, um den inneren Zustand anderer Menschen zu beeinflussen. Die Voodoo-Puppe ist immer ein beeindruckendes Beispiel, aber auch der „böse Blick“, mit dem Menschen aus ihrem Stamm verbannt wurden und schließlich an Isolation und Hoffnungslosigkeit sterben konnten. In der magischen Weltsicht lösen wir das Ohnmachtsproblem, indem wir Symbole von etwas Realem erschaffen (wie die Voodoo-Puppe, oder bestimmte Wörter und Sätze), die wir manipulieren können. Durch die magische Verknüpfung zwischen Symbol und Realität können wir die Realität beeinflussen.

Im Mythischen geschieht der Einfluss vermittelt über mächtige Wesen wie Götter, Dämonen, Geister und Engel um deren Unterstützung wir bitten können und die dann die Krankheit heilen, den Geldsegen bringen oder die Liebesbeziehung segnen. Oder aber sie wurden für Phänomene zur Verantwortung gezogen, für die sonst niemand eine Erklärung hatte. Auf diese Weise fielen unerklärliche seelische Zustände in den Zuständigkeitsbereich von Magie und Mythos. Vor diesem Hintergrund ist auch das Stigma dieser Zustände verständlich, das zum Glück immer seltener ist. Denn sie wurden als Zeichen dafür verstanden, dass höhere Wesen diesem Menschen nicht helfen bzw. schaden wollen. Und jeder, der in dessen Nähe käme, setzte sich dieser Gefahr ebenfalls aus.

Erst das Erkennen von Zusammenhängen und Benennen von seelischen Ursache-Wirkungs-Beziehungen durch Sigmund Freud und andere Zeitgenossen, machte deutlich, dass wir weder Magie noch Mythos brauchen, um diesem Leid etwas entgegen setzen zu können. Und um als Arzt im Bereich der Seele anerkannt zu werden, setzte Freud das medizinische Modell ein und erklärte seelisches Leid zu Krankheiten, die sich im klassischen Sinne heilen ließen. Wir entwickelten Möglichkeiten, auch hier den Verstand einzusetzen, um die Ohnmacht in Schach zu halten.

Das Interessante ist jedoch Folgendes: Auch wenn heutzutage viele Ansätze der Psychotherapie versuchen, seelische Probleme streng manualisiert, rational und mit Willenskraft zu lösen, funktioniert der Prozess, auf den Freud mit der Psychoanalyse hinwies, gar nicht auf eine linear-rationale Art und Weise. Freuds Entdeckung des Unbewussten bedeutet ja gerade, dass sich ganz viele Inhalte des Seelenlebens dem direkten Zugriff des Wachbewusstseins entziehen und deswegen nur auf indirekte Weise zugänglich sind, wenn sie der Zensur nicht zum Opfer fallen sollen. Daher ergibt sich die Wichtigkeit von Träumen, Freudschen Versprechern und freier Assoziation als Zugang zu Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen, die in der realen Umgebung des Menschen zu bedrohlich erscheinen, um bewusst verarbeitet werden zu können. Wir brauchen durchaus unseren Verstand, um in diesen Bereichen Ordnung und Orientierung zu gewinnen, aber wir brauchen auch noch mehr.

Intuition

Der Psychiater Iain McGilchrist schreibt in seinem Buch „The Master and his Emissary“ von den Funktionen der beiden Hirnhälften in uns Menschen. Demnach brauchen wir die linke Hemisphäre für lineare Prozesse wie Sprache, Denken und Planen, da wir ohne sie nicht handeln können. Die rechte Hemisphäre nimmt währenddessen das „Feld“ wahr, erkennt Muster im Unbekannten, erfühlt Zusammenhänge und verortet uns intuitiv. Es sind sehr verschiedene Arten, sich und die Welt wahrzunehmen, die jedoch beide etwas Unerlässliches beitragen.

Ich stelle mir den Unterschied gerne anhand von „Malen nach Zahlen“ vor: mit der linken Hirnhälfte verbinden wir die Zahlen so, dass ein Muster daraus wird. Mit der rechten Hirnhälfte erkennen wir das Muster. Unter Umständen gelingt das auch schon, bevor das Muster vollständig ist. Das, was wir mit der rechten Hirnhälfte wahrnehmen, wird für das bewusste Denken und Sprechen erst vermittel- und für Handlungen verwendbar, wenn es uns gelingt, eine Verbindung zur linken Hirnhälfte herzustellen. Darüber können wir ausdrücken, was wir von der rechten Hirnhälte aus wahrnehmen. Ohne diesen Ausdruck können wir uns anderen nicht mitteilen und haben es auch schwer, Wahrnehmungen zu ordnen. In meinem Verständnis besteht Psychotherapie hauptsächlich aus diesem Verknüpfungsvorgang, bei dem unbewusstes Erleben aus der rechten Hemisphäre so bewusst und formulierbar wird, dass es uns für unser Handeln zur Verfügung steht.

Eine schöne Illustration für den Übersetzungsvorgang von der rechten in die linke Hirnhälfte während der Psychotherapie.

McGilchrist hat die Hypothese, dass diese verschiedenen Modi in einer prähistorischen Umgebung erlaubten, mit der linken Hemisphäre gezielt für Nahrung und Schutz zu sorgen, während die rechte Hemisphäre wachsam für Bedrohungen aus der Umgebung sein kann. Das bedeutet, wir brauchen beide Hirnhälften für ein Gesamtbild, das uns bestmöglich orientiert und am Leben erhält.

Sowie der Titel seines Buches suggeriert, macht McGilchrist hierzu jedoch den Punkt, dass die rechte Hirnhälfte als Meister dabei führen sollte, während die linke als Gesandter folgt. Die Feldwahrnehmung der rechten Hemisphäre nimmt unbewusst wesentlich mehr Informationen auf, als der punktgenaue Fokus der linken Hemisphäre es je könnte. Außerdem ist sie offen für alles Neue und Unbekannte. Währenddessen ordnet die linke Hemissphäre Reize in Kategorien ein, die uns mitteilen, was wir mit diesen Reizen anfangen können: ist der Reiz nützlich, bedrohlich, oder egal? Ohne diese Zuordnung haben wir auf der Handlungsebene keine Orientierung. Aufgrund der Verengung auf Kategorien, kann die linke Hemissphäre jedoch nicht wissen, was sie nicht weiß und glaubt deswegen schnell, dass Willensstärke ausreichen müsste, um etwas zu erreichen. Je komplexer aber eine Situation ist, desto wichtiger ist es, die vielen Informationen des Feldes zu erfassen und sinnvoll für die eigenen Entscheidungen nutzen zu können. Wenn wir das ernst nehmen, bedeutet das, dass wir für komplexe Situationen eine nicht-rationale Führung brauchen, um Entscheidungen treffen zu können, die rational Sinn ergeben und uns und anderen Menschen dienen können. Eine Art, von dieser Führung zu sprechen, ist Intuition.

In einem Podcast erklärt Vivian Dittmar, dass Intution eine Wahrnehmung meint, die wir uns im gegenwärtigen Moment rational nicht erklären können, die sich jedoch oft genug als stimmig und nützlich herausstellt. Dabei hängt es jedoch durchaus davon ab, ob die Person Erfahrung in dem Gebiet hat, auf dem sie ihre Intuition einsetzt. Als Psychotherapeut mag ich intuitiv erspüren können, welche Welten sich hinter einer Aussage auftun können, aber beispielsweise in der Vorhersage von Börsenkursen wäre ich eine Niete. Die Feldwahrnehmung der rechten Hemisphäre hat also definitiv einen Realtitätsbezug, auch wenn wir nicht immer sagen können, woher der kommt. Und jeder, der lange Erfahrung auf einem bestimmten Gebiet gemacht hat, weiß, dass er irgendwann intuitiv spüren kann, was zu tun ist, ohne darüber nachzudenken.

Vor dem Verstand und nach dem Verstand

Wenn wir jedoch eine nicht-rationale Führung brauchen, stellt uns das vor eine wichtige Frage: Wie erkennen wir, ob dieses nicht-Rationale wirklich auf all das bezogen ist, was wir real wahrnehmen? Was, wenn wir uns dabei vertun? Magie und Mythos sind doch auch nicht-rationale Arten, die Welt zu verstehen und Ohnmacht zu bekämpfen, was ist denn damit? Es mag ja sein, dass es Menschen beruhigt hat, wenn sie z.B. ihrem Gott eine Jungfrau geopfert haben, aber muss das wirklich sein? Hilft es und ist der Preis akzeptabel?

Daraus ergibt sich für mich, dass nicht alles, was nicht-rational ist, gleich ist. Der amerikanische Philosoph Ken Wilber ordnet dieses Problem mit Hilfe einer Entwicklungssequenz, die auf die Forschung verschiedener Entwicklungspsychologen (u.a. Jean Piaget, Clare Graves, Robert Kegan, Jane Loevinger, Susanne Cook-Greuter) zurückgeht. Dazu spricht er von einem groben Modell mit drei Stufen, durch die sich sowohl die gesamte Menschheit als auch jedes Individuum entwickelt. Die Stufen nennt er prä-rational, rational und post- oder transrational.

Diesen Stufen lassen sich die verschiedenen Herangehensweisen an das Problem der Ohnmacht zuordnen, das ich oben angesprochen habe. Und vor diesem Hintergrund lässt sich erkennen, dass prärationale und transrationale Gedanken beide nicht rational sind und es von daher möglich ist, sie miteinander zu verwechseln. Prärationale Mythen können auf diese Weise wirken wie transrationale Weisheit und umgekehrt. Aber in ihrer Beziehung zum Rationalen besteht ein sehr wichtiger Unterschied, da transrationale Gedanken das Rationale berücksichtigen, auch wenn sie darüber hinausgehen. Prärationale Gedanken ignorieren, was wir mit dem Verstand erfassen können oder stehen direkt im Konflikt damit.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Umgang mit Mythen, wie Joseph Campbell ihn demonstriert: prärational nehmen wir Mythen und mythologische Gestalten wörtlich und gehen von ihrer tatsächlichen Existenz und Wirkung aus. Transrational verstehen wir Mythen als Metaphern und Projektionen unbewusster Bewegungen der Seele, die uns etwas wichtiges über unser Inneres und das Leben vermitteln können. Genau dieses Unterscheidungsmerkmal möchte ich nun zum Maßstab nehmen, um im Thema Gesetz der Anziehung sinnvolle Unterscheidungen zu treffen.

Des Pudels Kern

Ich glaube, dass das, was die zu Beginn zitierten Sätze ausdrücken, in dieser Form nicht funktioniert. Ohne nähere Differenzierung entsteht der Eindruck eines magischen, also prärationalen, Zusammenhanges, bei dem ich die Welt über Manipulation meines Bewusstseinszustandes direkt beeinflussen kann. Demnach müsste sich die Welt allein über meine Gedanken und z.B. vermittelt durch das Quantenfeld nach meinen Sehnsüchten richten und mir Gefahren ersparen bzw. nur noch schöne Gelegenheiten bieten. Zumindest sofern ich in diesem Sinne genug an mir gearbeitet habe. Tut die Welt das nicht, muss das daran liegen, dass ich noch nicht genug getan habe. Unterm Strich suggeriert diese Sichtweise die Hoffnung auf totale Kontrolle über mein Leben, wenn ich nur diese „verdammten Bewusstseinszustände“ sauber im Griff hätte. Auf diese Weise kann ich die Wahrnehmung abwehren, dass es viele Kräfte auf der Welt gibt, die ich nicht in der Hand habe – allen voran mein eigenes Unbewusstes und den Willen eines anderen Menschen, der uns lieben und schaden kann.

Ich glaube, der wahre Kern der Ansätze, die mit dem Gesetz der Anziehung arbeiten, liegt in der Entdeckung unbewusster Verarbeitungs-Muster, die uns als Erwachsenem die Orientierung „verhageln“ und dafür sorgen können, dass wir immer wieder Entscheidungen treffen, die sich „total gut“ anfühlen können, aber nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Dieses „sich total gut anfühlen“ kann auch darin besteht, alles beim Alten zu lassen, um ja nicht die Stabilität in uns selbst und in unserem Leben in Frage zu stellen. Typischerweise führt das zu Situationen, in denen wir Ohnmacht erleben, weil immer wieder das gleiche passiert und wir „auf Teufel komm raus“ nicht verstehen, wie das sein kann.

Glaubenssätze

Zum Verständnis dieser unbewussten Verarbeitungs-Muster, müssen wir die Situation als Kind berücksichtigen, von der ich in den Artikeln zu den Themen Lust, Spannung und Depression und Vermittlung schon geschrieben habe. In dieser Situation entwickeln sich Teile unseres Nervensystems, die ohne innere Arbeit noch im Erwachsenenalter so funktionieren wie damals. Als Kind sind wir zum Überleben darauf angewiesen, dass die Beziehung zur Mutter bzw. den primären Fürsorgern erhalten bleibt und stehen unter unfassbarem Druck, dafür alles zu tun. Droht das zu scheitern, sind wir mit Panik und Todesangst konfrontiert, die für ein Kind nicht über ein bestimmtes Maß erträglich ist. Um also einigermaßen stabil aufwachsen zu können, drängen wir als Kind alle Anlässe für diese Panik aus dem Bewusstsein und verzerren damit unsere Wahrnehmung. Daraus ergeben sich so etwas wie „Programme“ und Strukturen dafür, wie wir uns selbst und die Realität wahrnehmen. Und ein Ausdruck davon sind Glaubenssätze über uns selbst und andere, die in der Regel eine allgemeine und absolute Qualität haben. Beispiele dafür sind:

„Ich bin zu blöd, dumm, hässlich, nicht gut genug.“
„Als Frau sollte ich immer nett und still sein.“
„Alle Männer wollen Sex. Immer.“
„Wer Geld hat, hat keine Seele.“
„Wer mich will, muss selbst so gestört sein, dass ich ihn nicht will.“
„Wenn jemand nicht erreichbar ist, hab ich nur noch nicht genug getan.“

Diese Überzeugungen stellen in der Regel die Art da, wie wir als Kind unerträgliche Erfahrungen aus dem Bewusstsein gedrängt haben. So lange ich z.B. glaube, dass ich dumm bin, traue ich meiner Wahrnehmung nicht und lasse nicht zu, zu merken, wie weh meine Eltern mir tun. Wenn ich mich für hässlich halte, kann ich evtl. die Wahrnehmung ungewollter Aufmerksamkeit abwehren. Wenn ich glaube, dass Geld und Seele sich ausschließen, kann ich Armut leichter aushalten. Jemanden für gestört zu halten, der mich will, schützt mich vor der Erfahrung, überflutet und vereinnahmt zu werden. Wenn uns diese Glaubenssätze nicht bewusst sind, nehmen wir uns selbst und die Umwelt auf eine Weise wahr, die viel mehr mit der damaligen Situation zu tun hat, als mit der heutigen. Das bedeutet, dass wir bei unseren Entscheidungen nicht wirklich berücksichtigen können, was hier und heute da ist. Und auf diese Weise können wir sowohl Gefahren als auch Gelegenheiten übersehen, die uns auffallen würden, wenn wir bewusster wären.

Bewusstsein für die frühen Umstände zu erlangen ist aber leichter gesagt als getan, weil die Not und der Schmerz von damals auch wieder auftauchen, wenn wir uns erlauben, unsere Glaubenssätze in Frage zu stellen. Ich nehme dafür gerne folgendes Bild: da unser Herz so weh getan hat, dass es unerträglich wurde, haben wir es auf Eis gelegt. Das hat den Schmerz betäubt und die innere Lage so stabilisiert, dass Überleben möglich war. Da unser Herz jedoch auch unser Kompass ist, der uns in wichtigen Lebensentscheidungen Orientierung gibt, steht dieser Kompass uns heute nur auch insofern zur Verfügung, wie er nicht mehr auf Eis liegt. Dem Bild folgend wäre also der nächste Schritt, das Herz aufzutauen, damit es einem wieder Orientierung geben kann. Und wer schon mal gefühlt hat, wie sich auftauende Finger anfühlen, wenn sie gefroren waren, weiß, wie unangenehm das sein kann.

Verwirrung ist der Preis der Abwehr

Als Beispiel möchte ich den Fall nehmen, in dem sich ein Klient tatsächich zum 5. Mal in seinem Leben in eine Frau verliebte, die emotional nicht für ihn erreichbar war. In diesem Fall war es zwischen ihm und ihr nach einer kurzen Beziehung einige Male hin und her gegangen und er hatte gehofft, es würde etwas Festes werden, mit Zusammenleben und Gründen einer Familie. Sie entzog sich jedoch wiederholt. Er war generell sehr achtsam mit ihr, nahm ernst was sie wollte, teilte sich mit, so offen wie er konnte und dennoch kam keine entspannt fließende Verbindung zustande.

Er hatte die Erfahrung schon einige Male gemacht und war es Leid. Er beschrieb es so, dass die Frau sich bisher bei jedem Mal so angefühlt habe, als sei es unfassbar wichtig, sie zu gewinnen, aber schwer greifbar, wieso eigentlich. Dass er das nicht sagen konnte, fiel umso mehr auf, da er sich sonst sehr gut artikulieren konnte. Bei Betrachtung der frühen Kindheitssituation wurde über viele Sitzungen hinweg ersichtlich, dass er seine Mutter nicht hatte erreichen können, wenn es um bestimmte Gefühle wie Trauer, Wut oder Ohnmacht ging. Sie ging dann aus dem Kontakt und er konnte nichts dagegen tun. Jegliches Flehen oder Protest dagegen hatten nicht geholfen. Manchmal war es besonders schwierig, weil sie sich gar nicht körperlich sondern seelisch entzog, auch wenn sie noch da war. Damit blieb ein Teil von ihm ohne Spiegel und da er sich immer wieder unsicher fühlte, ob er auf einer tiefen seelischen Ebene für andere eigentlich wirklich wahrnehmbar sei, zweifelte er in gewisser Weise daran, dass es ihn als fühlendes inneres Wesen gäbe.

So blieb er mit einer tiefen Sehnsucht und einer Ohnmacht zurück, die er mit unermüdlichen Versuchen, doch darum zu kämpfen, betäubte. Er sagte sich, er hätte nicht genug von sich gezeigt, nur noch nicht verstanden, wie Beziehung ginge und müsste sich nur mehr Mühe geben und die inneren Konflikte der Frau verstehen, um sie für sie zu lösen und die Frau zu gewinnen. Auf eine Weise glaubte er der Überzeugung, so wie er sei, sei er nicht genug, um gesehen und geliebt zu werden. Dieser Glaubenssatz hatte die Funktion, die Ohnmacht nicht aushalten zu müssen, dass die Abkehr seiner Mutter tatsächlich nichts mit ihm zu tun hatte und in keiner Weise in seiner Hand lag. Diese Ohnmacht zu sehen hätte als Kind Verzweiflung ohne Hoffnung auf Veränderung bedeutet.

Von außen betrachtet, hatte ich schon länger den Eindruck, dass die Beziehung zu der Frau nicht passte, aber der Klient sah das nicht ein. Er versuchte auch aus dem kleinsten Funken ein Feuer zu machen und wurde zornig, wenn ihm das jemand ausreden wollte. Die Aufdeckung seiner Überzeugung über seine Unzulänglichkeit bedeutete, dass er mit der tatsächlichen Ohnmacht konfrontiert war, die er als kleiner Junge erlebt hatte. Das erschien ihm lange wie blanker Horror, den er um jeden Preis vermeiden wollte. Es dauerte entsprechend, bis er sich endlich stark genug dafür fühlte, bei einem wiederholtem Rückschlag wahrzunehmen, dass er nichts tun konnte.

Mit der Erfahrung schließlich, dass er den Horror aushalten und die Liebe fühlen konnte, die trotz der fehlenden Erwiderung unzweifelhaft in ihm war, war es ihm möglich zu erkennen, dass der Preis für die vermeintliche Kontrolle, die sein Glaubenssatz ihm versprach, im Verlust seiner Orientierung bestand. Das war der Grund, warum er nicht erkennen konnte, wann eine Frau so viel Angst vor ihren inneren Konflikten hatte, dass sie wahrscheinlich nicht bereit wäre, sich so auf ihn einzulassen, wie er sich das wünschte. Um das wahrnehmen zu können, musste er seine eigene Nervosität ernst nehmen, die er bisher immer mit hoffnungsvollem Ausblick betäubt hatte. Durch diesen Ausblick verliebte er sich in Frauen, die initial so wirkten, als wären sie zur selben Öffnung bereit wie er, nur um dann immer wieder deutliche Signale zu setzen, dass sie überfordert waren und sich zurückziehen wollten. Für ihn sahen diese Signale so aus, als könne er hier noch etwas erwirken – so wie er das als kleiner Junge geglaubt hatte, um nicht vollends zu verzweifeln. Das Bewusstsein für diese Brille ermöglichte es ihm endlich, sie abzunehmen, zu betrachten und sein Gegenüber mit klareren Maßstäben dafür wahrzunehmen, warauf er sich einlassen wollte und worauf nicht.

Das Kind und das Bad

Vor dem Hintergrund dieser Fall-Vignette wird vielleicht deutlich, inwiefern der Satz im Titel „Das ziehe ich mir in mein Leben“ stimmt bzw. nicht stimmt. Aus einer transrationalen Perspektive geht es hier nicht um einen magischen Anziehungsvorgang mit Hilfe eines übersinnlichen Quantenfeldes, sondern um eine Klärung und Neu-Ordnung der Wahrnehmung. Diese ist nicht rein rational, lässt sich jedoch bei genügend Aufdeckung beschreiben, ohne gegen Prinzipien des Verstandes zu verstoßen. Da es jedoch um komplexe Phänomene geht, brauchen wir hierfür die Feldwahrnehmung der rechten Hirnhälfte, die sich bei entsprechendem Bewusstsein und Erfahrung als Intuition zeigt. Sie erlaubt uns, Gefahren und Gelegenheiten im Leben anders aufzunehmen, zu ordnen und zu gewichten als gewohnt. Werden wir klarer darin, welche Maßstäbe wir für unser Leben anlegen und können diese von den unbewussten Maßstäben unserer Glaubenssätze unterscheiden, können wir den Fokus unserer Aufmerksamkeit anders ausrichten. Und diese neue Orientierung führt dann dazu, dass wir uns ein anderes Leben „erschaffen“ können.

Für den Klienten bedeutete das zunächst, dass er Sicherheit und Zuversicht darin gewann, wissen zu können, ob das, was er in seinem Leben erreichen möchte, wirklich für ihn stimmt oder nicht. Wenn die Aufdeckung dazu führt, dass er unabhängig vom Gegenüber die Echtheit seiner Liebe fühlen kann, während sich die Einschätzung der Situation klärt, nimmt die Desorientierung ab. Mit dieser Sicherheit kann er mehr ausprobieren und genau prüfen, ob eine Frau wirklich bereit und in der Lage ist, sich selbst zu halten, wenn sie Angst hat. Er kann steuern, ob und wann er sich so auf sie einlässt, bevor er wieder die gleiche Erfahrung macht. Vielleicht fällt ihm aber auch eine Frau auf, die er zuvor übersehen hatte, weil er die Fähigkeit zur Öffnung in ihr unterschätzt hatte. Unter Umständen merkt er aber auch, dass er sich und seiner Liebe zunächst ein sicheres Zuhause in seinem Bewusstsein schaffen möchte, bevor er sich wieder in einer Beziehung versucht.

All dies sind Beschreibungen, die über den Verstand hinausgehen, aber nicht im Konflikt mit ihm sind. Bei dieser Art von Ermächtigung kann ich keinen Anspruch auf totale Kontrolle erkennen, erlebe also auch keinen Druck, etwas in der Hand haben zu müssen, was ich nicht in der Hand haben kann. Damit bin ich von ganzem Herzen einverstanden. Ohne diese Differenzierung jedoch fürchte ich, dass die Ansätze des Gesetzes der Anziehung unterm Strich mehr Schaden als Nutzen anrichten und die Illusion von magischer Kontrolle letztendlich zu noch mehr Ohnmacht, Enttäuschung und Selbsthass führt.

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