Sie: „Schatz, hast du den Müll schon rausgebracht?“
Er: „Nee, aber mache ich später, jetzt stress mich doch nicht so!“
Sie: „Mach ich doch gar nicht! Ich hab halt keinen Bock auf ’ne stinkende Küche und sehe nicht ein, dass ich schon wieder dafür sorgen soll!“
Er: „Was heißt denn ’schon wieder‘? Weißt du eigentlich, was ich hier die ganze Zeit stemme? Ich hab keinen Bock auf deine Meckerei!“
Sie: „Dann such dir halt ’ne andere Idiotin, die neben allem anderen noch unser Zuhause für uns schön macht. Sowas brauche ich nicht.“
Er: „Du verstehst mich mal wieder überhaupt nicht! Ich reiß mir für uns den Arsch auf und das ist der Dank?!?“
Sie: „Geh doch, wenn’s dir nicht passt. Du schläfst heute jedenfalls auf der Couch!“
Hmmm… das ist jetzt aber schnell eskaliert. Wahrscheinlich hatten die beiden diesen Streit nicht zum ersten Mal, es scheint dafür einiges an Hintergrund zu geben. Aber was genau ist hier passiert? Und was wäre ein gesunder Umgang damit?
Bei der Beschäftigung mit der Frage, was eine gesunde Beziehung ausmacht, ist mir der Begriff der „Triangulierung“ bedeutsam geworden. Er beschreibt eine Fähigkeit und Entwicklungsaufgabe, mit der jeder Mensch konfrontiert ist und ohne die ich ein erfülltes Beziehungsleben nicht für möglich halte. Nicht triangulieren zu können bedeutet, zwischen Anpassung und Forderung gefangen zu sein und nur sehr begrenzt in der Lage zu sein, Unterschiede auszuhalten. In vielen Fällen bedeutet es auch, lieber alleine zu bleiben, als Selbstverlust in einer Beziehung zu riskieren. Genauso kann es bedeuten, auch in einer Beziehung einsam zu sein, weil die Existenz von jemandem, der anders ist, schon so bedrohlich ist, dass wir entweder uns selbst oder den anderen in seiner Eigenart gar nicht richtig wahrnehmen wollen oder können. Ohne Triangulierung ist der seelische Entwicklungsweg über die Egozentrik hinaus versperrt. Echte Nähe ohne Aufgabe von Identität und Unterschiedlichkeit ist ohne Triangulierung nicht möglich.
Es gibt zu diesem Begriff einiges an Fachliteratur aus der Psychoanalyse, die ich bedauerlicherweise jedoch zu großen Teilen nur schwer verständlich und verdaulich finde. Der Bezug zu alltäglichen Beobachtungen und Gefühlen fehlt an vielen Stellen. Seinem Ursprung nach geht der Triangulierungsbegriff zunächst auf Sigmund Freuds Konzeption des Ödipuskomplexes und später unter anderem auf Hans W. Loewald, Margaret Mahler und Ernst Abelins Organisator- und Triangulierungsmodell zurück, welches auch Entwicklungsphasen beschreibt, die vor der ödipalen Phase liegen. Ich möchte an dieser Stelle zwar nicht diese Modelle erläutern, sondern erörtern, was ich selbst darunter verstehe, beziehe mich im Weiteren aber vor allem auf die „frühe Triangulierung“ und nicht die ödipale. Auch möchte ich den Begriff von der dysfunktionalen Triangulation abgrenzen, von der im Rahmen der systemischen Familientherapie die Rede ist. Ich hoffe damit einen Einblick in ein Phänomen zu ermöglichen, das trotz seiner Alltäglichkeit komplex und häufig völlig unbewusst ist.
Triangulierung
Dem Begriff nach geht es bei der Triangulierung um ein Dreieck, bei dem zu einer Zweier-Beziehung etwas oder jemand Drittes hinzukommt. Dieses Dritte ist notwendig, um ein vermittelndes Gleichgewicht zwischen zwei unterschiedlichen Polen herzustellen. Ohne diese Vermittlung führt die Unterschiedlichkeit in einer Beziehung zu einem Machtkampf, in dem nur Platz für einen Weg ist: meinen oder deinen. Das Ergebnis kann, selbst wenn ich „gewinne“, immer nur zum Teil befriedigend sein, weil es auf Kosten der Beziehung geht: das „Wir“ verliert. Und der Teil in mir, der Zugehörigkeit, Verbundenheit und Nähe möchte, auch. Wie aber setze ich mich für das „wir“ ein, ohne das „ich“ zu vernachlässigen?
Diese Frage stellt für viele Menschen eine Überforderung dar. Nicht primär, weil sie an sich schon mental komplex sein kann, sondern weil die Gefühle, die mit dieser Frage einhergehen können, überwältigend und zu Tode beängstigend sein können. Und je wichtiger eine Beziehung ist, desto intensiver die Gefühle. Wer sich schon in einer Situation wie oben skizziert befunden hat, der kennt diese Intensität, die hinter den Äußerungen liegen dürfte. Klar zu denken, während Wut, Verletzung und Angst in einem toben, ist unmöglich. Das Nervensystem ist auf 180, absolute Achterbahn, ohne Anschnallgurte. Statt ruhigem Diskurs oder konstruktiver Auseinandersetzung sind nur noch Kampf, Flucht oder Einfrieren möglich. Wer nur die aktuelle Situation betrachtet, mag sich wundern, wie das sein kann. „Ging es nicht gerade noch nur um den Müll?“ Und ohne Verständnis für die Erlebnisse in den frühen Entwicklungsstadien eines Menschen, deren Folgen weit bis in’s Erwachsenenleben Auswirkungen haben, lässt sich auch nicht nachvollziehen, warum das so heftig sein kann.
Nahe am Abgrund
Da eine Voraussetzung für Lernen und Wachstum eine relative Stabilität ist, bedarf es oft einiges an Aufdeckung von abgewehrten Erinnerungen, um sich bewusst zu machen, wie prekär die Kindheit eines Menschen eigentlich ist – vor allem aus der Perspektive des Kindes. Wir sind maximal darauf angewiesen, dass wir von unseren Eltern und Fürsorgern gesehen und versorgt werden, weil es sonst niemand machen würde. Und selbst wenn uns im Fall von Gewalt oder Vernachlässigung in unserer relativ stabilen gesellschaftlichen Situation das Jugendamt retten und an die besten Adoptiveltern der Welt vermitteln würde – woher soll ein Kind das wissen? Hört also das Vorstellungsvermögen dafür auf, wo wir heute Abend schlafen, ob wir noch etwas zu Essen bekommen, es warm haben oder liebevoll behandelt werden, landen wir sehr schnell an einer Grenze. Und in der frühen Zeit, in der wir nicht einmal ein Vorstellungsvermögen haben, ist diese Grenze um so schneller erreicht. Ich glaube, dass wir selten eine genaue Vorstellung vom Tod entwickeln, sondern in den meisten Fällen so etwas wie einen „Nebel des Grauens“ wahrnehmen, an dem die Vorstellung verschwimmt und unscharf wird. Aber kommen wir diesem Nebel zu lange zu nah, empfinden wir Panik.
Da wir also für unsere Sicherheit, Geborgenheit und Stabilität auf unsere primäre Beziehung, meistens mit der Mutter, angewiesen sind, kann diese Panik immer auch dann entstehen, wenn wir etwas anderes wollen, als die Mutter und dieser Unterschied die Sicherheit in der Beziehung bedroht. Je nach dem, von welchem Alter wir sprechen, sind die Möglichkeiten für das Kind natürlich unterschiedlich weitreichend. Aber nehmen wir mal an, es ginge darum, im Alter von 18 Monaten selber zu bestimmen, wie viel und was das Kind isst. Ist die Mutter entweder nicht in der Lage oder bereit auf das Kind einzugehen, kann für das Kind eine Notsituation entstehen, bei der es entweder bei dem bleibt, was es will und die Beziehung riskiert, oder seinen Willen aufgibt und sich anpasst, um Ruhe in die Beziehung und in’s eigene Nervensystem zu bringen. So lange es ein Machtkampf zwischen Mutter und Kind ist, ist letzere Wahl wesentlich wahrscheinlicher. Wir können schließlich auch ohne Selbstausdruck noch überleben, aber ohne Überlebensgrundlage bringt uns der Selbstausdruck nichts. Der Preis dafür ist, dass wir Teile unseres Selbstes leugnen, vergessen und verdrängen müssen, um den Verzicht darauf nicht als unerträglich zu erleben. Schaffen wir das nicht, werden Kampf- oder Fluchtimpulse so stark, dass wir ihnen nicht widerstehen können. Wer sich vorstellt, wie sich eine 3-jährige fühlen muss, die vor Schmerz und Wut hinaus in die Welt fliehen will, versteht, wie bedrohlich das sein muss.
Um jedoch ein gesundes Empfinden für sich selbst zu entwickeln, brauchen wir eine Situation, in der wir uns nicht zwischen Selbstausdruck und Beziehung entscheiden müssen. Und diese Situation entsteht nur durch Triangulierung. Traditionell ist mit dem „dritten Element“ der Vater gemeint. Und zur Illustration will ich auch vom Vater und seiner idealen Wirkung sprechen. Übergeordnet geht es bei der Triangulierung aber vor allem darum, dass es ein vermittelndes Element gibt, das zwischen den Unterschieden eine Brücke schafft. Weiter unten gehe ich darauf ein, welche anderen Formen es noch dafür geben kann.
Die Ideal-Situation
Gehen wir also davon aus, dass Mutter und Kind unterschiedliche Vorstellungen davon und Empfindungen dazu haben, was und wie viel gegessen werden sollte, kann es zum Machtkampf kommen. Kommt nun der Vater hinzu, der eine gute Bindung zum Kind und zur Mutter hat, kann er vermitteln. Er sieht unter Umständen etwas anderes in dem Verhalten des Kindes, wie z.B. den Wunsch, etwas selber zu bestimmen und zu spüren, welche Wirkung es damit haben kann. Wenn er das sieht und nachfühlt, kann er es formulieren und gegenüber der Mutter vertreten. Damit wird er quasi zum „Anwalt“ für das Kind, nimmt es in Schutz und stellt sich daneben. Das Kind kann schon mal anfangen sich zu entspannen, weil die Bedrohung durch die Mutter nachlässt.
Sicher ist die Beziehung aber erst, wenn der Vater nicht nur Antwalt, sondern auch Mediator ist. Dafür muss er auch die Bedürfnisse der Mutter verstehen, evtl. ihre Sorge darum, „es nicht richtig zu machen“, ihre Erschöpfung und ihr Bedürfnis nach Empathie und Erholung zu sehen. Die Präsenz und das Bewusstsein des Vaters sorgen dann für den Raum, in dem die Vermittlung stattfinden kann. Das Kind kann seine Gefühle und Bedürfnisse bewusst erleben, genauso wie die Mutter, ohne dass das die Fronten verschärft. Und vermutlich geht es dann nicht mehr um die konkrete Frage danach, wie viel gegessen wird, sondern um die darunterliegenden Gefühle und Bedürfnisse: die Erschöpfung und Entmutigung der Mutter, die Raum für sich und ihr Inneres braucht und das verständliche Bedürfnis des Kindes, selber zu bestimmen, was es essen mag. Mit dem Raum für diese Gefühle kann ein dritter Weg entstehen, der für Kind und Mutter gleichermaßen funktioniert und auch noch der Beziehung dient. Was genau das ist, ist nun gar nicht mehr so wichtig, weil die Verbindung auf Herzebene wieder hergestellt ist. Vielleicht ist das Kind satt, vielleicht gibt’s noch eine andere Idee zum Essen, vielleicht braucht die Mutter eine halbe Stunde für sich und der Vater springt ein.
Mir ist bewusst, dass ich damit eine Idealsituation beschreibe, die sich sicher sehr viele Menschen gewünscht hätten, jedoch eher selten erlebt haben werden. Damit möchte ich einen bewussten Maßstab dafür schaffen, wie es gehen kann – von dem ausgehend wir besser verstehen können, was in vielen Fällen fehlte und warum es unter Umständen auf diese Weise nicht möglich war. Und was es heute braucht, wenn wir über den Machtkampf hinauswachsen wollen.
Verschiedene Wege mit der gleichen Absicht
Wie schon gesagt, ist der Vater ein idealtypisches Beispiel, welches deswegen so viel Macht hat, weil in der Regel keine Bindung enger ist, als die mit der Mutter und die Notwendigkeit, Eigenständigkeit und Beziehung erhalten zu wollen, nirgendwo größer ist. In abgeschwächter Form kann diese Situation auch umgekehrt passieren, wobei das Kind mit dem Vater einen Konflikt hat und die Mutter vermittelt. Jeder andere nahestehende Erwachsene mit entsprechendem Bewusstsein kann ebenso die Vermittler-Rolle haben. Das vermittelnde Element kann aber auch darin bestehen, dass die Mutter selber Bewusstsein dafür hat, welche Berechtigung ihre Wünsche und Grenzen haben und sie ebenso im Blick hat, was das Kind braucht. Die Vermittlung findet dann in ihrem Bewusstsein statt und sie schafft einen Raum, in dem sie zunächst Verständnis und Einfühlung für sich entwickelt und dann Raum dafür öffnet, das Kind besser zu verstehen.
Vermittelnd wirken können auch Situationen im Außen oder im Körper. Die meisten Menschen erleben als Kind eine besondere Fürsorge, wenn sie krank sind. Ist der Krankheitszustand nicht allzu schlimm, kann er sogar herbeigesehnt werden, weil er der Mutter signalisiert „Meine Bedürfnisse sind jetzt wichtig.“ So kommt der sogenannte „sekundäre Krankheitsgewinn“ zustande, der letztlich im Kern mit der Erleichterung zu tun hat, mit den eigenen Bedürfnissen in der Beziehung vorkommen zu dürfen, ohne um die Beziehung fürchten zu müssen. Eine andere Art, die frühe Triangulierung zu erwirken, nutzt Geschlecht und Sexualität, worauf ich in einem künftigen Artikel eingehen will.
Ich bin sicher, dass es noch mehr Wege gibt, wie kleine Kinder versuchen, aus der Not dieses Machtkampfes zu entkommen, aber im Kern finde ich wichtig zu verstehen, um welche Qualität im Umgang miteinander es geht und warum und wofür die so wichtig ist. Angesichts dessen aber, dass die wenigsten solch eine Idealsituation erlebt haben, stellt sich die Frage, was wir nun mit diesem Wissen anfangen können. Offensichtlich können wir die Vergangenheit nicht ändern. Aber wir haben die Möglichkeit, sie so zu untersuchen, dass wir vollständigere Bilder und umfassenderes Verständnis dafür gewinnen, wo wir in unserem Inneren jeweils stehen und was wir fühlen und verstehen müssen, bevor wir zur Triangulierung fähig sind.
Selbst vermitteln
Eine Art, das „Ziel“ von Psychotherapie zu beschreiben ist, „sich selbst der Vater und die Mutter zu werden, die man nicht hatte.“ Dies spricht darauf an, dass Bewusstsein an sich triangulieren kann. Wenn ich aufdecke, spüre und benennen kann, was in mir passiert, nehme ich dazu eine beobachtende Zeugenposition ein. Von dieser Position aus kann ich vermitteln – entweder mit einer mir wichtigen Person im Außen, oder auch zwischen verschiedenen Positionen in mir selber, wie z.B. wenn ich gleichzeitig autonom und jemandem nah sein möchte. Ohne dieses Bewusstsein spüre ich meine Bedürfnisse mitunter nur als Druck, dem ich nachgehen muss, wenn ich nicht unter unfassbare Spannung geraten will. Und wenn ich dadurch in einen Konflikt mit meinem Gegenüber gerate… nun, dann kann aus einem Hinweis zum Müll eine Nacht getrennt schlafen werden. Oder auch mehrere Nächte.
Zur Bewusstwerdung von Gefühlen und Bedürfnissen gibt es neben klassischer Psychotherapie einige Ansätze, die ich dafür hilfreich finde, allen voran die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Das schwierigste an der Entwicklung des Triangulierens liegt allerdings nicht auf der mentalen Verstandesebene, sondern ist tiefer, emotional und körperlich, verankert. Wie schon gesagt, besteht die Überforderung in der Regel vor allem darin, die Heftigkeit der Gefühle nicht ertragen zu können, die angesichts von Konflikten mit Menschen, die wir sehr nah an uns heranlassen, auftauchen können. Dazu zähle ich Enttäuschung, Wut, Verletzung und Angst. Manchmal aber sind es auch die „schönen“ Gefühle, die wiederum Panik auslösen können, weil sie an die eigene Verletzlichkeit und wiederum an den möglichen Schmerz erinnern.
Das Ertragen dieser Gefühle ist unter Umständen erst nach langer innerer Auseinandersetzung möglich, da wir sie unverarbeitet als pure Panik, Auflösung, tiefste Verzweiflung, Todesangst oder andere, viel rätselhaftere Symptome erleben können, die mitunter so weit vom Bewusstsein weg sind, das sie nur körperlich auftauchen. Kopf- und Bauchweh sind beliebte Kandidaten. Und je weniger bewusst uns unsere Geschichte und die heutigen Zusammenhänge damit sind, desto rätselhafter und beängstigender können diese Zustände sein, so dass wir alles mögliche tun, um sie zu vermeiden. Dazu gehören Süchte, Selbstbilder und Überzeugungen, an die wir trotz klarer Gegenbeweise glauben. Aber zur Vermeidung eignen sich auch alle Versuche, einen geliebten Menschen auf Abstand zu halten oder Druck auf ihn auszuüben, er möge doch die unbewussten Deals einhalten, die wir vermeintlich einvernehmlich eingegangen sind und sich an unsere Wünsche anpassen.
Wenn wir diese heftigen Zustände jedoch konsequent vermeiden, kommen wir auch nicht in die Position, deren Wurzel für die heutige Situationen adäquat zu berücksichtigen und in die Vermittlung bei konkreten Konfliktsituationen mit einfließen zu lassen. Mitunter braucht es heftige Krisen im Leben eines Menschen, bevor er bereit ist, sich mit den vermiedenen und abgewehrten Gefühlen auseinanderzusetzen. Die Situation im Außen muss manchmal so unerträglich werden, dass das innere Unerträgliche im Vergleich akzeptabel wirkt. Da das wiederum auch überfordernd sein kann, kann die innere Arbeit sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, in der in ganz kleinen Schritten, Schicht für Schicht der Gefühle zu dem frühen Drama des Machtkampfes und der Anpassung ins Bewusstsein gelangt.
Ist dieser Weg jedoch für einen guten Teil gegangen worden, kann das erwachsene Bewusstsein die innere frühe Not erfassen, berühren und halten, so wie der damalige ideale Elternteil es getan hätte. Wir können dann zu unserem eigenen Anwalt und Mediator werden. Dadurch wird echtes und tief empfundenes Mitgefühl mit dem Kind möglich, das wir einmal waren und deren Gefühle und Erlebnisse bis heute prägen, wer wir sind. Und mit diesem bewussten Mitgefühl kann ich in die Vermittlung gehen – sei es zwischen verschiedenen Anteilen in mir oder zwischen mir und einem geliebten Menschen, mit dem ich Unterschiede habe. Außerdem habe ich damit auch die innere Freiheit, innerhalb einer Beziehung Grenzen zu ziehen und unter Umständen Abstand zu schaffen, wenn ich Raum für innere Vermittlung brauche. Komme ich zu dem Schluss, dass mein Gegenüber nicht die Voraussetzungen erfüllt, die ich mir für die Beziehung wünsche, kann ich auch entscheiden, eine Beziehung zu beenden – und dank der inneren Vermittlung die Gefühle auffangen, die dieser Verlust vermutlich auslöst und die als Kind unerträglich gewesen wären.
Eine Alternative
Vor dem Hintergrund des bis hierher Erörterten möchte ich nochmal den Dialog vom Anfang aufgreifen, mit dem Unterschied, dass es dem Mann möglich ist, mit der Triangulierung zwischen verschiedenen Anteilen in ihm und seiner Partnerin anzufangen, bevor auch sie miteinstimmt. Damit möchte ich demonstrieren, welcher Raum dank der Triangulierung aufgehen kann, in dem all die Konflikte, Unterschiede, aber auch die Verbundenheit Platz haben.
Sie: „Schatz, hast du den Müll schon rausgebracht?“
Er: „Nee, aber mache ich später, jetzt stress mich doch nicht so!“
Sie: „Mach ich doch gar nicht! Ich hab halt keinen Bock auf ’ne stinkende Küche und sehe nicht ein, dass ich schon wieder dafür sorgen soll!“
Er: „Moment mal… lass uns mal für einen Moment inne halten, irgendwas läuft hier gerade aus dem Ruder…“
Sie ist zwar angespannt und wütend, aber wird still und lässt ihm Raum zum Spüren. Er schließt die Augen und nimmt wahr, dass er sehr unter Spannung steht. Ihm wird bewusst, dass er Angst hat, er könnte seine beruflichen Aufgaben nicht rechtzeitig schaffen und dabei Geld einbüßen, das er sehr gerne für sich und seine Partnerin zur Verfügung hätte. Auf einer noch tieferen Ebene spürt er die Verzweiflung, die er als kleiner Junge hatte, wenn er keine Worte dafür hatte, wie es ihm ging und sich so gewünscht hätte, seine Mutter hätte es erspüren und ihn verstehen können. Das war oft nicht so gewesen und sein Vater war ebenso nicht da gewesen, um für das Verständnis zu sorgen. Er hatte lange gebraucht, um den tiefen Schmerz und die Ohnmacht darüber endlich zulassen zu können, statt sich zu sagen, dass er das nicht bräuchte oder irgendwann noch erwirken könnte. Auf einer Ebene hätte er dieses Verständnis gerade unfassbar gerne von seiner Partnerin bekommen. Auf einer anderen Ebene kann er sie sehen, wie sie gerade ebenfalls unter Druck steht, auch wenn er noch nicht genau weiß, was dahinter steckt. Er atmet noch einmal durch, öffnet die Augen und sagt: „Du, Schatz, ich merk, dass du ganz schön unter Druck zu stehen scheinst. Magste sagen, was dich so beschäftigt?“
Sein ruhiger und freundlicher Tonfall berührt und beruhigt sie schon ein ganzes Stück weit und sie sagt: „Ach du… ja, das stimmt. Sorry, dass ich dich gerad so angeschnauzt hab. Ich habe jetzt ein paar Mal gehört, dass du Dinge später machen willst und dann waren sie doch nicht gemacht. Mich stresst das total, weil ich dann anfange zu zweifeln, dass du mich wirklich hörst und ernst nimmst.“
Er nimmt das auf und ist erleichtert, sie darin spüren zu können. Weil er sie kennt, hört er auf einer tieferen Ebene das Kindheitsthema von ihr, bei dem in Frage steht, ob ihre Bedürfnisse überhaupt eine Rolle spielen durften, wenn sie anders waren, als ihre Mutter wollte oder wichtig fand. Sie hatten darüber schon oft Gespräche geführt, deswegen antwortet er: „Das trifft dich gerad an dem alten Punkt, oder?“
Sie: „Ja… danke, dass du das gerad siehst.“ Sie seufzt und es kommen ihr ein paar Tränen. Sie ist gerührt davon, dass er sie sieht. Gleichzeitig spürt sie auch, wie tief dieser Schmerz sitzt und wie schwer es ihr manchmal fällt, ihn bewusst zu ertragen. Ganz davon zu schweigen ihn zu halten und Mitgefühl mit sich zu haben. Stattdessen spürt sie schnell den Impuls, sich unter Druck zu setzen und den Druck wütend nach außen weiter zu geben. Manchmal fällt sie auf den Druck hin auch dissoziiert in sich zusammen und spürt nichts mehr, wie als sie ganz klein war und ohne die Mutter nichts machen konnte. Sie fühlt die Not wie eine unfassbare Last auf der Brust, der ihr schier den Atem raubt. Sie erinnert sich, wie einsam sie als kleines Mädchen war, wenn ihr die Beachtung und das Verständnis ihrer Mutter fehlte und auch für sie kein Vater da war, der hätte vermitteln können. Auch sie wünscht sich manchmal, ihr Partner könnte das verstehen, ohne dass sie etwas sagen müsste – dann würde diese unerträgliche Verzweiflung doch gar nicht erst aufkommen! Gleichzeitig weiß sie genug, um zu verstehen, was es ihn kosten würde, wenn er das versuchen würde. Denn er müsste dafür viel mehr auf sie als auf sich achten – und das würde letztlich der Beziehung und damit auch ihr schaden. Nach vielen Versuchen in der Vergangenheit weiß sie, dass sie diesen Preis nicht zahlen möchte.
Zu ihm sagt sie also: „Weißt du, ich weiß, dass du mir nicht abnehmen kannst, dass ich mich mitteile, wenn ich fürchte, dass du mich nicht ernst nimmst, auch wenn ich mir das manchmal so wünschen würde. Und ich kann sehen, dass du selber unter Druck stehst und der Haushalt für dich deswegen auch gerade hinten an steht…“ Sie hält inne, atmet durch und sagt: „Ich merke gerade, ich stehe nicht mehr unter Stress. Ich kann gerad meinen Zweifel und die Verzweiflung von früher verstehen. Ich krieg außerdem mit, dass du mich ernst nimmst.“
Er ist erleichtert und berührt und lädt sie zu einer tiefen, zärtlichen Umarmung ein. Nachdem sie sie annimmt, sagt er ihr sanft in’s Ohr: „Was hältst du davon, wenn ich jetzt den Müll rausbringe und wir es uns dann auf der Couch gemütlich machen?“
Sie: „Das fänd ich ganz wunderbar… dann bereite ich schon mal die Snacks vor.“